Wenn gesetzliche Krankenkassen den Versicherten misstrauen!
Von Kontrollanrufen bis hin zu Telefonterror: Krankgeschriebene Versicherte werden immer wieder von ihrer Krankenkasse zum Arbeiten gedrängt. Datenschützer sind alarmiert.
Gesetzliche Krankenkassen versuchen laut Experten immer wieder, beim Krankengeld zu sparen und krankgeschriebene Versicherte zum Arbeiten zu drängen. „Besonders häufig taucht das Thema in unserer Beratung im Kontext psychischer Erkrankungen auf“, sagte der Geschäftsführer der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD), Sebastian Schmidt-Kaehler.
Zu Tausenden hatten sich Patienten über Krankenkassen beschwert, die ihnen ohne ausreichenden Grund Leistungen und Krankengeld verweigerten. Bei manchen Kassen sind die Grenzen zwischen Kümmern um die Versicherten und Drangsalieren offenbar fließend.
„Das ist eines der schwierigsten Beratungsthemen, weil es sehr angstbesetzt ist und weil es oft um die wirtschaftliche Existenz der Versicherten geht.“ Einen neuen Überblick will die UPD mit einem Jahresbericht Anfang Juli geben.
Dass manche Krankenkassen krankgeschriebene Versicherte weiterhin drängen, wieder zu arbeiten, bestätigt auch der zuständige Referatsleiter bei der Bundesdatenschutzbeauftragten, Bertram Raum. Wie gehen Kassenmitarbeiter dabei vor?
„Einige Kassen fragen ein- bis zweimal pro Woche telefonisch bei den Versicherten nach“, sagt Raum. „Die meisten Krankenkassen schicken auch umfangreiche Selbstauskunftsbögen an die Versicherten, die den Eindruck entstehen lassen, dass die Zahlung des Krankengeldes von den umfangreichen Auskünften abhängt.“ Oft werde unzulässig nach Diagnosen und Befindlichkeit gefragt.
Unseriöser Umgang mit Patientendaten
Raum wies auch auf unseriösen Umgang einiger Kassen mit sensiblen Patientendaten hin. So können Versicherungen Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen anstoßen, um beurteilen zu können, ob der Krankengeldbezug gerechtfertigt ist. Dazu können dann Angaben des behandelnden Arztes eingeholt werden.
Doch die Kasse darf diese Angaben selbst nicht einsehen. Das passiert laut Raum aber: „Wir kennen auch Fälle, in denen Krankenkassen einen Brief des behandelnden Arztes zum Gesundheitszustand eines Versicherten öffnen, obwohl er nur vom Medizinischen Diensts geöffnet werden darf.“
Die Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink sieht Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Aufsichten gefordert – also Bundesversicherungsamt und Landesregierungen. „Gerade für Menschen mit einer psychischen Erkrankung können Kontrollanrufe bestehende Krisen verschärfen“, meint sie.
Alarmierend sei, dass sogar von Telefonterror die Rede sei. Klein-Schmeink warnt, die schwarz-rote Gesundheitsreform könnte Wettbewerb und Sparkurs bei den Kassen noch anheizen.
Krankschreibungen werden millionenfach überprüft
Das Bundesversicherungsamt sieht momentan keine brennenden Probleme. Neue Beschwerden darüber, dass Kassen bei Arbeitsunfähigkeit unzulässig Daten erheben, gebe es nicht, sagt Sprecher Tobias Schmidt.
Sein Amt, die Datenschutzbeauftragte und das Bundesgesundheitsministerium suchten aber grundsätzlich eine Lösung, um Kasseninteressen und Datenschutz gerecht zu werden.
Wie oft die Kassen Grenzen überschreiten, ist unklar. Angesichts von 70 Millionen Versicherten erscheinen etwa 4800 Beschwerden zum Thema Krankengeld vom bisher einschlägigen UPD-Bericht für 2013 nicht als viel.
Doch wie viele Betroffene beschweren sich überhaupt? Die Versicherungen lassen von ihrem Medizinischen Dienst jedes Jahr millionenfach Krankschreibungen überprüfen. Meist bestätigt dieser ärztliche Atteste – oft aber nicht.
Was können Betroffene tun? Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK, rät, Versicherte sollten sich nie auf telefonische Absprachen einlassen: „Nur gegen eine schriftliche Ablehnung können sie Widerspruch einlegen.“ Und keineswegs sollte man den Job kündigen – „auch wenn die Kasse dies nahelegt“.
Große Zuwächse bei Ausgaben für Krankengeld
Bei den Ausgaben für Krankengeld gab es über Jahre große Zuwächse – 2013 war es ein Plus von 6,1 Prozent auf rund 9,8 Milliarden Euro. Sparen mag aus Kassensicht naheliegen. Viele Kassen scheinen auch sonst offensiver als früher gegenüber ihren Versicherten vorgehen zu wollen.
„Insgesamt gibt es eine Tendenz, dass Krankenkassen Versicherte an die Hand nehmen wollen“, sagt Datenschützer Raum. Ihre Daten können den Kassen viel über die Versicherten verraten – doch sollen sie auf die Menschen zugehen, um sie zu gesünderem Leben oder konsequenten Therapien zu bewegen?
„Sie dürfen die Daten der Versicherten dafür nur in begrenztem Umfang nutzen, und für die Versicherten ist das freiwillig“, stellt Raum klar. „Es gibt aber immer wieder Fälle, bei denen Kassen die Grenzen überschreiten.“
Die Krankenkassen haben sich gegen Vorwürfe verteidigt, teilweise Druck auf Krankengeldempfänger auszuüben. „Tag für Tag werden aus den Portemonnaies der Beitragszahler 27 Millionen Euro für Krankengeld ausgegeben, das sind fast zehn Milliarden Euro im Jahr“, erklärte der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Kassen am Sonntag.
„Es ist ein täglicher Balanceakt der Krankenkassenmitarbeiter, darauf zu achten, dass das Geld auch seriös ausgegeben wird“, fügte Sprecher Florian Lanz hinzu. „Wenn es im Einzelfall dazu kommt, dass sich ein Versicherter bedrängt fühlt, dann ist das ein Fehler, aus dem die Kassen lernen.“
Wenn gesetzliche Krankenkassen den Versicherten misstrauen!,